29.04.2024

Giganten der Biergeschichte: Alexander Rolinck

Passion fürs Bierbrauen | Wenn man zurückreist in der Zeit, so stößt man immer wieder auf Berufe, die es heute nicht mehr gibt. So hört sich auch das, was wir in dieser Folge präsentieren, in unserer Zeit recht bizarr an. Alexander Rolinck war erfolgreicher Musiker, zudem Mundschenk seines Grafen, und hat sich dann doch für den Brauerberuf entschieden. Die Brauerei, die er gründete, ist auch mehr als 200 Jahre später noch existent, wenn auch nicht mehr im Familienbesitz.

Alexander Franz Maria Rolinck war ein Schöngeist. Geboren in Havixbeck am 27. Dezember 1782 als Sohn von Joseph Bernhard Rolinck und Anna Sophie geb. Kückmann, wurde er am 25. Januar 1783 in der St. Martini Kirche im 20 km entfernten Münster getauft. Dort wuchs er dann auch auf.

Sein Vater war Laternenanzünder – sogar amtlich bestellt. Der junge Alexander wuchs in bescheidenen Verhältnissen auf. Sein Vater brachte ihm die Tugenden bei, die man auch als Laternenanzünder benötigte: Pflichtgefühl, Diensteifer, Sorgfalt und Gewissenhaftigkeit.
Der Unterschied zu einem Pedanten bestand jedoch in der künstlerischen Ader Alexanders, die ihm eine Leichtigkeit, einen Hang zum Risiko und tatkräftige Energie über normales Pflichtgefühl mit auf den weiteren Lebensweg gab.

Das Instrument der Wahl für den hochmusikalisch veranlagten Jungen war die Klarinette. Deren Beherrschung war auch entscheidend für die Berufswahl. Am 1. Mai des Jahres 1800, mit 17 Jahren, begann sein erstes Arbeitsverhältnis, etwa 30 km nordwestlich von Münster, als Kammermusiker des Reichsgrafen Ludwig zu Bent­heim-Steinfurt, für einen Lohn von 120 Reichstaler pro Jahr. Sein Arbeitsplatz war ab sofort das Wasserschloss Burgsteinfurt, dessen Anfänge bis ins 12. Jahrhundert zurückreichen. Seine mietfreie Kammer lag direkt über dem Toreingang zur Unterburg. Graf Ludwig war recht ehrgeizig, was den Ruf seines Orchesters anging – galt er doch selbst als Virtuose auf der Flöte und besetzte in seinem Orchester den Platz der ersten Flöte. Daher ist es glaubhaft, dass Alexander Rolinck auch als junger Mann bereits ein erstklassiger Klarinettist war, sonst wäre er nicht angenommen worden.

Porträt von Alexander Rolinck (1782 – 1849) (Foto: [1])

Für die drei Jahre seiner Vertragslaufzeit wohnte er also im Schloss und spielte Klarinette. Dann ging es zurück nach Münster. Dort versuchte er sich erstmals als Kaufmann.

Im Jahr 1804 findet man ihn 70 km weiter im Norden, in Ankum. Die Gründe dafür liegen im Dunklen. Aber er heiratet dort im Oktober. Seine Gattin hieß Carolina Elisabeth Wachmann. Am 7. Dezember wird das erste Kind getauft, Lucia Adolfina. Vier weitere werden das Kindsalter überleben. Offenbar waren Rolincks erste kaufmännische Unternehmungen wenig erfolgreich gewesen, denn 1805 heuerte er erneut bei Graf Ludwig an. Mit 23 Jahren kam eine, nach heutigen Maßstäben originelle, Beförderung hinzu: Er wurde, neben seiner Tätigkeit als Kammermusiker, offizieller „Mundschenk und Tafeldecker“ des Grafen. Das Leben schien es gut mit ihm zu meinen.

Napoleon Bonaparte ändert ­Rolincks Lebenskurs

Nun folgt ein kleiner, aber notwendiger, geschichtlicher Einschub: Die napoleonischen Kriege ändern alles. 1806 endet das Heilige Römische Reich. Am 16. Juli 1806 wird der Rheinbund gegründet und Napoleon unterstellt. 1806 marschieren die französischen Truppen in Steinfurt ein. Die Stadt kommt zunächst an das Großherzogtum Berg, das Burgsteinfurt zum Sitz des Arrondissement Steinfurt und damit zum Verwaltungszentrum macht. 1810 fällt die Stadt an das französische Kaiserreich. Als regierenden Herzog in Berg setzt Napoleon seinen Schwager, den König von Neapel, Marschall Joachim Murat ein. Mit der Gründung des Rheinbundes endet auch die Ära der Reichsgrafen, sie werden einfach abgeschafft. Denn es war mehr ein Rechtsbegriff als ein Adelstitel. Und der Zusatz „Reich“ gilt fortan als umstürzlerisch.

Der Graf blieb zwar weiterhin ein Graf, aber seine Souveränität war dahin. Der Code Napoleon, der 1807 eingeführt wurde, verschafft nicht nur Katholiken und Juden mehr Rechtsicherheit. Allerdings muss sich Alexander Rolinck nun neu orientieren. Die Kammermusik in Burgsteinfurt hat keine Zukunft mehr.

Rolincks Vorfahren hatten bereits, wie viele andere Haushalte auch, Branntwein und Bier hergestellt. Darauf besinnt er sich nun und nimmt auch seine kaufmännischen Aktivitäten wieder auf.

Was Rolinck zum Biergiganten macht?

Es ist nicht überliefert, ob er nach seinem Ausscheiden aus dem gräflichen Kammerorchester weiter Klarinette spielte. Aber sein weiteres Leben war so arbeits- und erfolgreich, dass der Schluss naheliegt, dass er nicht mehr eifrig weiter musiziert hat.

Am 13. Mai 1812 erwirbt er von dem Kaufmann Marcus Layser ein Haus in der Kirchstraße in Burgsteinfurt, gelegen zwischen der Kirchstr. 2 und Burgstr. 4. Der Kaufpreis beträgt 1125 Reichstaler, also nicht ganz zehn Jahresgehälter als Musiker. Dort eröffnet er eine Schänke und beginnt mit der Herstellung von Branntwein. Ab 1818 – die Franzosen waren als Herrscher bereits durch Preußen ersetzt worden – wird er im Register der Residenzstadt Burgsteinfurt als „Material-, Gewürz-, Kolonialwaren- und Weinhändler“ geführt. Ab 1820 ist er dann auch als Bierbrauer tätig. 1820 gilt bis heute als offizielles Gründungsjahr der Brauerei Rolinck. Die Alkoholherstellung ist ein gutes Geschäft, die Konkurrenz ist hart. Denn allein im Ort gibt es (mit ihm) acht Branntweinhersteller und sogar zwölf Brauer.

Rolinck-Brauerei im Jahr 1910 (Quelle: [4])

Dazu kommen viele Haushalte bei den knapp 4000 Einwohnern in Steinfurt und Umgebung, die für den Eigenbedarf brennen und brauen und somit gar nicht auf fremde Produktion angewiesen sind. Der Heimatverein Burgsteinfurt hat genau Buch geführt: „1817 gab es in Burgsteinfurt bei 2295 Einwohnern 22 und in den Bauerschaften mit 1550 Einwohnern acht Kneipen. 1894 wurden bei 4500 Einwohnern 41 Wirtschaften gezählt, hinzu kamen sieben Kleinhandlungen mit alkoholischen Getränken.

In den Bauerschaften gibt es zu dieser Zeit elf konzessionierte Wirtschaften. Borghorst hat zu dieser Zeit bei 6021 Einwohnern sieben Gast- und 20 Schankwirtschaften. Um 1870 werden als Brauereien in Burgsteinfurt genannt: H. Berkemeyer, Gebrüder Berkemeyer, Heinrich Berkemeyer, C. Bremer, Franz Schmedding, W. Flintermann, G. Jessing, Alex Rolinck, H. Siegmann, Heinrich Veltrup und H. Schmetkamp.“

Wie alle Brauer der Zeit braut auch Alexander Rolinck obergärig. Und zuerst einmal nur für den eigenen Bedarf. Rolincks Bier wird ausschließlich im eigenen Gasthaus ausgeschenkt. Der Erfolg kommt, zwangsläufig, mit der guten Qualität seines Bieres. Hierzu vermeldet der Heimatverein: „Die Qualität der (Burgsteinfurter) Biere war aber wohl so schlecht, dass viele lieber Schnaps tranken. Der war auch über Jahre billiger als Bier. 1836 bekam man für 4 bis 5 Pfennig ein Glas Branntwein, für ein Bier mussten 8 bis 9 Pfennige bezahlt werden. Die Qualität änderte sich erst, als auch in Burgsteinfurt nach dem Bayrischen Reinheitsgebot gebraut wurde.“

Rolinck ist auch als Kaufmann erfolgreich genug, um Geld für den Ausbau der Brauerei zur Verfügung zu haben. Gute Ausstattung war damals genauso wichtig wie heute und ermöglichte auch eine bessere Betriebshygiene, damals ein viel größeres Problem als heute. Über die Jahre wächst Rolincks Brauerei zur besten und größten in der Umgebung heran. Mehrmals baut Rolinck seinen Betrieb aus.

Die Söhne machen den nächsten Schritt

In dieser Zeit stirbt seine Frau Carolina Elisabeth. Er heiratet am 26. Mai 1826 erneut. Diesmal heißt seine Gattin Anna Elisabeth Lanvers und ist zwanzig Jahre jünger (geb. 3. August 1802). Erneut wird er Vater. Der am 26. Januar 1831 geborene Sohn Alexander Carl Heinrich Joseph Everhard wird im alltäglichen Umgang nach ihm benannt, er ist Alexander II. Ein zweiter Sohn heißt Friedrich. Drei weitere Kinder folgen. Beide Söhne werden vom Vater ans Brauereigeschäft herangeführt.

Die Kinder aus erster Ehe werden abgefunden und spielen im weiteren Schicksal der Brauerei keine Rolle mehr. Alexander II. geht mit 19 Jahren – im gleichen Alter spielte sein Vater Klarinette mit dem Reichsgrafen – nach Bayern, um die dortige Braukunst zu studieren. Dort lernt er auch das untergärige Brauverfahren. Bald nach seiner Rückkehr führt er es in der eigenen Brauerei ein, gleichzeitig gibt man die Branntweinproduktion auf.

Zu diesem Zeitpunkt ist der Firmengründer Alexander Rolinck bereits nicht mehr unter den Lebenden. Am 12. September 1849 stirbt er mit 66 Jahren. Die Pfarre St. Johannes Nepomuk in Burgsteinfurt vermeldet als Todesursache für den „Kaufmann Franz Alexander Rolinck“ eine damals so genannte „Brustwassersucht“, typisch für ein Herzversagen.

Doch Rolinck hat sein Vermächtnis gut geregelt, die Söhne sind bestens vorbereitet. Und so wird aus dem ursprünglichen Nebenerwerb des Bierbrauens – die Schänke war der Haupterwerb – sehr bald ein professionell geführtes Brauereiunternehmen. Ab 7. März 1859 zeigt sich dies auch in der Umbenennung der Brauerei als „Offene Handelsgesellschaft A. Rolinck“, Besitzer Alexander II. und Friedrich Rolinck.

An der Burgstraße, neben der väterlichen Brauerei, entsteht ein erster, großer Eiskeller mit einem Bierlager. Ein Umzug ist jedoch unumgänglich. Man benötigt besseres Brauwasser, und neue Maschinen fordern mehr Platz. Alexius Friedrich zu Bentheim und Steinfurt, Sohn von Alexanders Reichsgraf Ludwig und Fürstnachfolger, verkauft ihnen ein passendes Gelände auf dem Rövekämpken. 1870 ist der Neubau fertig, die Brauerei zieht um.

Ab 1871 läuft die erste Dampfmaschine in der Brauerei in Burgsteinfurt, mit 8 PS, geliefert von der Firma J. S. Schwalbe & Sohn aus Chemnitz. Und bereits 1875, als eine der ersten Brauereien in Deutschland, wird bei der Rolinck Brauerei ein Bier nach Pilsener Brauart eingebraut. Es entwickelt sich in der Folge zum Bestseller und zur Hauptmarke.

Rolinck wird im 20. Jahrhundert eine erfolgreiche, mittelständische Familienbrauerei. Solide Zahlen weit jenseits der 100.000 hl lassen den Betrieb auch zwei Weltkriege und diverse Wirtschaftskrisen überstehen. Dennoch geht die Zeitenwende der Globalisierung auch an einem derart soliden Familienunternehmen nicht spurlos vorbei. Der Ausstoß geht zurück, die Probleme häufen sich.

Als im Frühjahr 2000 mit Christian Friedrich Rolinck die sechste Familiengeneration ins Unternehmen einsteigt, sind die Weichen bereits gestellt für eine Anpassung an den immer härter gewordenen Wettbewerb. Im Januar 2007 wird die Brauerei Rolinck an die Brauerei Krombacher verkauft.

Allerdings, im Gegensatz zu vielen Übernahmen mit nachfolgenden Schließungen, konsolidiert sich die Brauerei Rolinck unter der neuen Führung. 2012 wurden 230.000 hl vermeldet. 2020 konnte das 200-jährige Firmenjubiläum freudig gefeiert werden. Immer noch ist das Pilsener die wichtigste Marke.

Posthume Ehrungen sind bei Personen dieser Kategorie zwangsläufig. Rolincks Pionierarbeit, seine vielfältigen Begabungen und sein Mut zum Risiko legten das Fundament für über 200 Jahre erfolgreiche Brauereigeschichte in Burgsteinfurt. Dass die Adresse der Brauerei seit 2007 Alexander-Rolinck-Straße 1 in 48565 Steinfurt lautet, überrascht daher nicht sonderlich.

Zudem hat die Brauerei unlängst ein helles Lager aus vergangenen Zeiten wieder neu aufgelegt. „Alex Rolinck Lagerbier“ kommt im beliebten „Pülleken“ zurück in den Handel.

Fotos sind übrigens nicht überliefert. Das gemalte Porträt in Öl stammt von dem Burgsteinfurter Maler Franz Wieschebrink.

Lernen Sie in unserem Dossier: Giganten der Biergeschichte weitere herausragende Persönlichkeiten der Braugeschichte kennen.

Quellen

  1. Borkenhagen, E.: Bedeutende Brauer, VLB Verlag Berlin, 1959.
  2. https://gedbas.genealogy.net/person/show/1145751298, abgerufen am 5.2.2024.
  3. https://www.rolinck.de/rolinck-historie, abgerufen am 5.2.2024.
  4. http://www.heimatverein-burgsteinfurt.de, abgerufen am 5.2.2024.
  5. https://www.wn.de/muensterland/kreis-steinfurt/jetzt-kommt-alex-zuruck-2568099?&npg, abgerufen am 5.2.2024.

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